Wissenschaft als Gefahr: Dürrenmatts Komödie »Die Physiker« am Staatstheater Augsburg

Gerald Fiedler als Newton.

Die ursprüngliche Premiere war bereits im September 2020; nun feiert Friedrich Dürrenmatts Komödie »Die Physiker« ihre Wiederaufnahme am Augsburger Staatstheater. Die Inszenierung von Regisseurin Antje Thoms kehrt bis Mitte Juni zurück auf die Bühne der Spielstätte martini-Park. Dürrenmatts zentrale Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft wird hier stark auf die gegenwärtigen Verhältnisse bezogen.


Beeindruckt durch seine Lektüre von Robert Jungks Buch „Heller als tausend Sonnen“, das sich mit den Folgen der Atombombe und der Verantwortung der Kernphysiker befasste, schrieb Dürrenmatt das Stück 1961 in der Zeit des Kalten Krieges, und die Kontrahenten USA und Sowjetunion stehen sich hier direkt gegenüber. Bereits in den 70er-Jahren als Klassiker der modernen Bühnenliteratur an den Schulen gelesen, ist Dürrenmatts Komödie auch heute noch aktuell, schließlich behandelt sie das alte Menschheitsthema: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden“ – Wissenschaft als Büchse der Pandora.

Die Inszenierung von Antje Thoms am Augsburger Staatstheater transportiert das Stück glaubhaft in unsere Zeit. Da werden Biotechnologie oder autonome Roboter auf Videoscreens gezeigt, und auch COVID-19 ist mit routinierten Ritualen wie Masken, Hygiene-Vorschriften und permanentem Händedesinfizieren dauerpräsent.

Klaus Müller als Einstein.



In einem cleanen, weißen Bühnenraum, der mehr eine Klinikstation als Dürrenmatts „etwas verlotterte Villa eines privaten Sanatoriums“ darstellt, leben drei Physiker: Einer hält sich für Einstein, einer für Newton, nur Möbius ist er selbst. Alle drei mimen die Verrückten; deswegen werden sie auch nicht zur Rechenschaft gezogen, als sie nacheinander ihre drei Krankenschwestern erdrosseln. Grund für ihren Aufenthalt in dem Irrenhaus ist jedoch die Wissenschaft: Möbius hat nicht nur die Weltformel gefunden, sondern mit dem System aller möglichen Erfindungen auch gleich ihre Anwendungen. Und das hält er für so gefährlich, dass er sich selber wegsperrt, um die Menschheit vor den Folgen seiner eigenen Forschung zu schützen. So nimmt er letztendlich die gesamte Verantwortung auf sich – eine utopische Vorstellung, wie die Regisseurin betont.

Herausragend als Möbius: Sebastian Müller-Stahl.

Jenny Langner spielt eine (noch) wunderbar lebendig-junge Schwester Monika.



Gerald Fiedler als Newton und Klaus Müller als Einstein wirbeln mit ungezähmter Spielfreude über die Bühne; dagegen bringt Sebastian Müller-Stahl den Möbius mit seiner schweren Verantwortung in all seinem Elend so glaubwürdig rüber, dass man seine Gedanken nachfühlt und ihm sogar den Mord an Schwester Monika (entzückend lebendig: Jenny Langner) verzeiht. Ute Fiedler stellt die am Ende fast diabolische Anstaltsleiterin Frau Doktor von Zahnd dar, deren lang geplante absolute Macht (schließlich hat sie ihre ganze Verwandtschaft nach und nach ausgeschaltet) von einer intelligenten Frau zeugt – in der Augsburger Inszenierung alles andere als eine Irre, wenn auch ihre abgehackte, stotternde Sprechweise dies andeuten soll.

Die Physiker in einer umwerfenden Rammstein-Parodie: „Psalm Salomos,
den Weltraumfahrern zu singen“.



Die Inszenierung ist voll Witz und betont so die Komödie in Dürrenmatts Stück. Da wird das Sanatorium zum „Park Martini“ (elegant die Betonung auf dem zweiten „i“!) mit Logo und allem Drum und Dran; die Schweizer Lokalitäten bei Dürrenmatt werden ins Augsburger Umland von Adelsried bis Wertingen verpflanzt, was beim Publikum für einige wiedererkennende Lacher sorgt. Newtons Zollstock verwandelt sich mal in ein Steckenpferd, mal in einen Regenschirm; der bullige Oberpfleger wird umbenannt in Axel Schulz und das Versteck für die Cognakflasche ist nicht mehr ein alter Kamin, sondern die Box fürs Desinfektionsmittel. 

Manche Regieeinfälle erschließen sich dem Publikum allerdings nicht, wie das Rehkitz auf dem Arm einer Krankenschwester oder die Unterwasserprojektionen von Korallen und Quallen, mit sanft gewedelten Armen des Klinikpersonals.

Die durchgeknallte Frau Doktor: Ute Fiedler.



Die Musik von Stefan Leibold spielt in der Inszenierung eine besondere Rolle; sie kommt als mal gefühlvoller, mal ironischer Gesang mit einigen Zitaten (Beispiel: der König von Thule) daher. Für die Rammstein-Parodie mit König Salomos Psalm gibt es sogar Szenenapplaus, und der Walkürenritt am Schluss verschafft der machtgeilen Frau Doktor den richtigen Abgang.


Text: Sabine Sirach
Fotos: Jan-Pieter Fuhr

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