Philosophie: Einfach selber machen! Der Allround-Punk Gerald Fiebig im Porträt

Gerald Fiebig: Punk- und Geräusch-Musikmacher, Sänger, Lyriker,
Zeitschriften-Herausgeber und Buchautor.
(Foto © brezenstudio.com)


Im Hauptberuf leitet Gerald Fiebig seit 2015 das Abraxas, und daher kennen ihn auch viele Augsbürger. Doch er lebt seine Talente noch auf viele andere Arten aus: der Punk- und Geräusch-Musikmacher, Sänger, Lyriker, Zeitschriften-Herausgeber und Buchautor Gerald Fiebig. Anlässlich des von ihm initiierten Ventil Verlag-Festivals am 30. Juni und 1. Juli im Abraxas haben wir uns mit ihm unterhalten und einiges über seine weniger bekannten Seiten erfahren.

An der Uni Augsburg hat er vergleichende Literaturwissenschaften und Philosophie studiert – und im Rahmen eines Erasmus-Austausches auch an der University of Sussex in Brighton. Im Studium hat er vieles gelernt, was er in seinen ersten beruflichen Stationen in Verlagen und einer PR-Agentur brauchen konnte – aber nicht, „wie man Gedichte schreibt und elektronische Musik macht“. Und da sind wir schon bei seinem Lebensmotto: „Einfach selber machen!“ Do it yourself wird ja als charakteristisch für Punk gesehen, das Ganze muss dann auch nicht perfekt sein. Und so hat er schon mit 14 Jahren angefangen, Gedichte zu schreiben; erst auf Englisch, Songs imitierend, dann dem eigenen Ausdrucksbedürfnis folgend auf Deutsch.

Schreiben und Zeitschriften herausgeben

Als Lyriker hat Gerald Fiebig seit 1995 einige Gedichtbände veröffentlicht. Sie tragen Titel wie geräuschpegel, rauschangriff, kriechstrom oder motörhead klopstöck, die an seine Affinität zur Klangkunst erinnern – wie auch „Soundtracks“, eine Erzählung, die 2003 veröffentlicht wurde.

Von 1991 bis 2001 war er Mit-Herausgeber der Zeitschrift Zeitriss, die bis zu drei Mal jährlich erschien und mit ungewöhnlichen („keine Wasserglas-Lesungen“) Vorstellungen präsentiert wurde. Hier gab es auch die ersten Aufnahmen mit Jesus Jackson, woraus später eine gemeinsame Band hervorging.

Seit den 1990ern schreibt er für die „Testcard“, eine Zeitschrift im Buchformat (Ventil Verlag) über Poptheorie und -literatur, Drone und Noise. Von 1999 bis 2003 schrieb er für sein Online Musik-Fanzine gebrauchtemusik („gebrauchte“ Musik im Sinne von: benötigte!), das er heute als Label fortführt, schrieb er Konzertkritiken, Plattenrezensionen und Musik-Essays – und da sind wir schon bei seiner zweiten Leidenschaft:

Musik machen

Musik ist für ihn die wichtigste Kunst, „weil sie so emotional ist“. Sein erster Zugang war wiederum die Sprache: 1997 schrieb er einen Text, der nur als Songtext funktionieren konnte; Jürgen Jäcklin alias Jesus Jackson vertonte diesen Text (Titel: „Ein ziemlich beknacktes Lied“), und daraus entstand eine lange Zusammenarbeit, die mit der Acoustic Punk-Band „Jesus Jackson und die grenzlandreiter“ bis heute anhält. Die Grenzlandreiter sind übrigens die besten Freunde Gerald Fiebig und Mathias Huber, der Multi-Instrumentalist. Fiebigs Rolle in der Band? „Ich tue so, als könnte ich Keyboard spielen, und singe dazu.“ 2023 kann die Band ihr 25jähriges Bestehen feiern.

Als Solokünstler veröffentlicht und performt Gerald Fiebig unter seinem eigenen Namen und als „Sustained Development“. Seine Spezialität: Sound Art mit Geräuschen und Sprache. Schwerpunkte seiner akustischen Arbeiten sind radiophone Kompositionen, elektroakustische Live-Improvisation sowie Installations- und Performancekonzepte für spezifische Orte und Anlässe.

 

Seit 2006 werden seine akustischen Arbeiten auch auf Festivals im In- und Ausland aufgeführt und ausgestellt.

Darüber hinaus hat Gerald Fiebig mehrere Arbeiten für verschiedene Audiokunst-Sendeplätze deutscher und internationaler Rundfunkanstalten produziert, darunter das „Studio Akustische Kunst“ (Westdeutscher Rundfunk 3) oder „Klangkunst“ (Deutschlandradio Kultur).

Preise gewinnen

Für seine Aktivitäten wurde Gerald Fiebig schon mehrfach ausgezeichnet. „Zweieinviertel Mal“ gewann er den Kunstförderpreis der Stadt Augsburg: 1995 für die Redaktion von „Zeitriss“ – womit über Jahre hinaus die Druckkosten gesichert waren; 2004 für seine eigenen Gedichte in der Sparte Literatur, und 2013 in der Sparte Bildende Kunst für seine Klanginstallationen.

Eine besondere Geschichte verbindet ihn mit Wien. 2013 erhielt er ein TONSPUR-Artist-in-Residence-Stipendium vom Museumsquartier in Wien. Die TONSPUR ist eine Galerie für Klangkunst im öffentlichen Raum, die Fiebig 2008 im Wien-Urlaub entdeckte. Auch in diesem Urlaub (den er eigentlich seiner eigenen, auch politischen, Familiengeschichte gewidmet hatte: So war sein Urgroßvater 1934 im Karl-Marx-Hof beim sogenannten „Februar-Aufstand“ der Sozialdemokraten beteiligt) kam er durch die – sehr kurze – Klanggasse und hatte die Idee, aus den Klängen der Gasse eine Soundinstallation zu machen. Die reichte er ein – und musste bis 2013 warten, als ihn plötzlich ein Anruf der TONSPUR-Verantwortlichen erreichte: Er habe das Stipendium für die Realisierung seiner Idee bekommen! Neben der in der TONSPUR ausgestellten Installation „Klanggasse“ zeitigte der Aufenthalt ein weiteres Resultat: Zwei Klangstücke (Dauer: 12 Minuten 2 Sekunden und 19 Minuten 34 Sekunden), die die TONSPUR-Location bespielten und auch im Kunstradio beim ORF gesendet wurden. „Damit wurde ich eingereiht mit bekannten internationalen Klangkünstlern!“

Eine weitere Auszeichnung erhielt er zu Beginn seiner Klangkunst-Aktivitäten 2007 zusammen mit seinem Duopartner Gerhard Zander vom Institut de Musique Electracoustique, das damals noch in der Augsburger Partnerstadt Bourges existierte. 2020 war er wiederum selbst Jurymitglied für das Hörspiel des Monats.

Der Multimedia-Künstler Gerald Fiebig in Aktion: Hier vertont er ein Gemälde von Bertram Schilling (hinter ihm zu sehen); der Sound dazu ist hier zu hören: https://gebrauchtemusik.bandcamp.com/track/nach-bertram-schilling-after-bertram-schilling
(Foto © Stefan Schulzki)

Abraxas leiten

Als Leiter des Abraxas ist Fiebig vor allem Netzwerker. Das Abraxas, das die Stadt 1994 von der US-Armee übernahm und 1995 als Kulturhaus eröffnete, ist meist nicht selbst Veranstalter, sondern Dienstleister mit solidarischem Denken – für alle, die mit kleinem Budget auf der Bühne etwas zu bieten haben. Zwei Schwerpunkte bilden dabei Kindertheater und Tanz, sonst sind die meisten Veranstaltungen singuläre Ereignisse. Immer wieder gibt es Anknüpfungspunkte zur Geschichte des Gebäudes, das die Nazis als Offiziersheim bauten und später der US-Armee als Freizeit-Club diente; beispielsweise war vor kurzem eine Inszenierung der Tagebücher der Anne Frank zu sehen.

Ein jährlicher Programmhöhepunkt ist das Medienkunst-Festival LAB.30, das nächstes Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiert. Fiebig ist dabei beratend für das Programm tätig, aber das Festival ist eine Teamleistung (mit der „großartigen Kuratorin“ Barbara Friedrichs, wie Fiebig lobt), hervorgegangen aus einer Grassroots-Initiative und gefördert durch bürgerschaftliches Engagement und Spenden.

Hinweise

Zum Schluss des Gesprächs war Gerald Fiebig etwas verblüfft über die Frage, was denn bei all dem, was er tut und veröffentlicht, seine Botschaft sei. Die Antwort kam trotzdem recht schnell: Ihm gehe es darum, auf die Geschichten von anderen hinzuweisen; Beispiele: die politischen Kämpfe seines Urgroßvaters in Wien (https://cba.fro.at/431439); mit der CD „Gasworks“ auf die dreckige, gefährliche Arbeit im Gaswerk Augsburg-Oberhausen; mit einer Performance auf Walter Klingenbeck, der 1943 in Stadelheim hingerichtet wurde; ZeitzeugInnen-Statements in Kooperation mit dem Jüdischen Museum wie das von Judith Kalman Mandel, einer Überlebenden des KZ-Außenlagers Augsburg-Michelwerke; Fiebigs Übersetzung dieses Dokuments entstand im Zusammenhang mit dem Audiowalk „Memory Off Switch (von Bluespots Productions) über Zwangsarbeit in Augsburg.

Er wolle den Leuten Freiheitsräume eröffnen, auf Themen hinweisen und sie einladen, sich damit zu beschäftigen. Genügend Möglichkeiten dafür bekommen wir von ihm geboten.

P.S. Was Sie immer schon wissen wollten: Der Name Abraxas, der Ihre Rezensentin immer an den Raben aus der Kleinen Hexe von Otfried Preußler erinnerte, geht auf eine Idee des damaligen Kulturreferenten Ludwig Kotter 1995 zurück: „Atrium, Bühne, Restaurant, Ateliers, eXperimentelle Musik in Augsburg an der Sommestraße“. Die Zahl im Titel des Festivals LAB.30 ist die Hausnummer des Abraxas.


Text: Sabine Sirach

- - -

Protest gegen den Nazikitsch seines Vaters
Vorankündigung: 
Das Ventil Verlag-Minifestival im Abraxas

Daniel Borgeldt gibt Einblicke in seinen „Schnulzenroman“.


Der Ventil Verlag mit Sitz in Mainz gibt vegane Kochbücher, Sachbücher zur Popmusik und Punk heraus, aber auch Belletristik und Comics mit musikaffinen Themen. Er kann dieses Jahr auf sein 20jähriges Bestehen zurückblicken; Grund genug, das zu feiern, gibt es auch in Augsburg: Hier wohnen mit Franz Dobler, Gerald Fiebig, Lena Marie Radu und Roland van Oystern gleich vier Autor:innen des Verlags. Im Abraxas steigt daher ein Mini-Festival:

Am 30. Juni um 19 Uhr stellen Ferdinand Führer und Roland van Oystern (der 2021 den Kunstförderpreis der Stadt Augsburg in der Sparte Literatur erhielt) in einer Lesung mit Musik ihre „Kritik am Mitmensch“ vor. Die Sammlung von Kolumnen aus der Satirezeitschrift „Titanic“ ist das zweite Buch des Autoren-Duos im Ventil-Verlag. Die Original-Illustrationen von Lisbert für das Buch sind in einer Ausstellung im Ballettsaal bis zum 31. Juli zu sehen, die an diesem Abend eröffnet wird.



Am 1. Juli ab 20 Uhr liest erst Gerald Fiebig aus seinen Beiträgen in der Punk-Anthologie „Damaged Goods“, und dann gibt Daniel Borgeldt Einblicke in seinen „Schnulzenroman“, ein literarisches Roadmovie über Schlager, Zwölftonmusik und Punk. Der Protagonist des Romans wollte eigentlich Avantgarde-Komponist werden – nicht zuletzt aus Protest gegen den Nazikitsch seines Vaters, der in der NS-Zeit ein populärer Schauspieler war. Mit dieser Thematik passt der Schnulzenroman gut ins Abraxas mit seiner Vergangenheit.


Text: Sabine Sirach

Kommentare