Das Laufen und der Sinn des Lebens


Am Start sind die beiden Läufer noch fröhlich und voll motiviert.


„Marathon“ im Sensemble


Als Wiederaufnahme ist das Theaterstück „Marathon“ von Sebastian Seidel im Sensemble auf der Sommerwiese zu sehen. Das Stück wurde 2002 mit dem Kunstförderpreis der Stadt Augsburg in der Sparte Literatur ausgezeichnet und 2009 überarbeitet.

Birgit Linner (Läufer 1) und Jörg Schur (Läufer 2) laufen 75 Minuten lang auf der improvisierten Strecke, bis zum völligen Zusammenbruch. Am Start sind die beiden Marathonläufer noch ganz frisch und voll motiviert. Läufer 2 platzt vor Ehrgeiz und will den Marathon unter zwei Stunden laufen – Läufer 1, der routinierte alte Hase, erklärt ihm, dass er dann den Weltrekord brechen würde und sich sein Ehrgeiz schnell legen wird. Aber nein, 2 kennt nur ein Ziel: das Ziel! 

Tschakka! Ich bin der Beste!


Die Rennleitung hat gesagt, es gehe allerweil geradeaus, also läuft er auch allerweil geradeaus. Für Familie und Freunde hat er keine Zeit, er muss immer laufen. Genervt von der Fragerei des anderen, rennt er umso schneller und will allen – das Publikum wird direkt angesprochen – beweisen, „dass ich der Beste bin!“

Läufer 1 hingegen träumt allerweil noch von einem Idyll mit Frau, Haus am Wald und Kindern – läuft aber auch immer weiter. Er stellt sich Fragen nach dem Sinn des Ganzen, denn „was machst du dann, wenn du dir bewiesen hast, dass du der Beste bist?“

Erste Ermüdungserscheinungen..
 

Bis zur völligen Erschöpfung

Nach 5 km hat Läufer 2 mit seinen neuen Schuhen eine Blase am Fuß, und auch sonst machen sich erste Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Erstaunt stellen die beiden fest, dass sie nun schon seit 20 Jahren laufen. Die Rennleitung, Streckenverpflegung und andere Läufer haben sie schon lange nicht mehr gesehen, aber sie verfolgen stur das Ziel. Sie denken an Pausen, aber Aufgeben kommt nicht in Frage. Und dann gabelt sich der Weg: Geradeaus geht es nicht mehr, sollen sie jetzt nach rechts oder links laufen? Die Entscheidung überfordert die Erschöpften und sie fragen sich, ob sie nicht vielleicht besser umdrehen und zurücklaufen sollen. Läufer 1 ist müde und traurig über all die verpassten Möglichkeiten mit Familie und Freunden; Läufer 2 stellt sich die Frage gar nicht. „Warum sollte ich etwas verpasst haben?“

Als Läufer 1 sieht, dass alles um den Weg herum abgestorben ist, bricht er zusammen und will nicht mehr: „Ich lasse mir nichts mehr vorschreiben“. 2 will den anderen zwar nicht allein liegen lassen, träumt aber weiter vom Erreichen des Ziels: „Ich werde mir sagen: Ich bin angekommen!“ Schließlich ist er 70 Jahre gelaufen und immer noch der ewig getriebene Siegertyp, der meint: „Das Ziel muss doch erreichbar sein!“ So erinnert der Text sehr an die Aussichtslosigkeit in der Türhüter-Parabel von Franz Kafka.

Die beiden Darsteller geben in dem Stück alles: Sie laufen permanent auf der Stelle, stolpern, winken dem Publikum zu, fallen, werfen Schuhe, Mütze, Sonnenbrille von sich; Schweiß tropft und läuft in Strömen. Gefragt, wie lange denn seine beiden Darsteller für das Stück hätten trainieren müssen, antwortet Autor und Regisseur Sebastian Seidel dann auch schmunzelnd: „Jahrzehnte!“

Ab jetzt wird's schwierig.


Seidel versteht sein Stück als „Parabel auf das Leben“, und tatsächlich kommen einem die Sprüche des Läufers 2 sehr vertraut vor; sie spiegeln all das Tschakka der Managementtrainings und Leistungssport-Eliten. Dem wird die zwecklose Sinnsuche von Läufer 1 entgegengesetzt, die auch nirgendwo hin führt. Die großen Fragen nach den gesellschaftlichen Strukturen, die dem Menschen das Äußerste abverlangen, werden nicht beantwortet. Das Publikum diskutiert beim Hinausgehen weiter, wer denn im realen Leben die Rennleitung, was das große Ziel und warum es nicht erreichbar sei. Dennoch bleibt ein Lächeln über die gelungene Ironie des Stücks.

Schon richtig erschöpft.


Nächste Vorstellungen: 15./16.7., 22./23.7., 29./30.7 jeweils um 20:30 Uhr im Sensemble. Ob draußen auf der Wiese oder drinnen im Theater gespielt wird, hängt vom Wetter ab; man kann es ab 18:30 telefonisch oder auf der Website erfahren.


Text und Fotos: Sabine Sirach

Schwierige Entscheidung: Wo geht´s denn jetzt lang?

Der Zusammenbruch.

Völlig am Ende.

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