Vor der Lesung: Häppchen, Sekt und gute Stimmung auf der Abraxas-Terrasse. |
Anarchie, Musik und gute Laune beim Ventil Verlag-Festival im Abraxas
Das 20jährige Jubiläum des Mainzer Ventil Verlags sollte im Abraxas gebührend gefeiert werden – schließlich leben so manche Autoren des Verlags in Augsburg. Der Verlag gibt vegane Kochbücher, Sachbücher zur Popmusik und Punk heraus, aber auch Belletristik und Comics mit musikaffinen Themen. Auf dem zweitägigen Mini-Festival wurden mehrere Bücher präsentiert, eine Ausstellung eröffnet, Musik gespielt und viel gelacht.
„Kritik am Mitmensch“ – Vernissage mit Illustrationen von Lisbert mit Lesung von Ferdinand Führer & Roland van Oystern
Den Auftakt machte ein Empfang mit Sekt und Häppchen auf der Abraxas-Terrasse, und schließlich geleitete „Schmali“ (Florian Schmaler) mit seinem Saxofon die Gäste in den Ballettsaal zum Höhepunkt des Abends. Roland van Oystern (Augsburg) und Ferdinand Führer (Stuttgart) lasen aus ihrem Buch „Kritik am Mitmensch“ mit Illustrationen der Künstlerin Lisbert (ebenfalls Stuttgart). Die treffend-witzigen Illustrationen samt Vorstudien sind in der Ausstellung im Original zu sehen und auch zu erwerben.
Lesung aus der „Kritik am Mitmensch“: Wenn der eine liest, amüsiert sich der andere auch (li. Ferdinand Führer, re. Roland van Oystern). |
So witzig und anarchisch wie die Texte: Lisberts Illustrationen zur „Kritik am Mitmensch“ (der Bahntelefonierer, der Streberaffe, der Status-Quo-Orientierte und der Begrüßungs-Überschwang). |
"Damaged Goods" und "Schnulzenroman" – Lesung von Gerald Fiebig und Daniel Borgeldt
Am zweiten Abend lasen wieder zwei Ventil Verlag-Autoren. Gerald Fiebig, der das ganze Festival organisiert hatte, gab einen Einblick in seine musiktheoretischen Einträge im Sammelband „Damaged Goods – 150 Einträge in die Punkgeschichte“. Er las seinen Beitrag über die Adverts mit ihrem 1978er Album „Crossing the Red Sea“. Darin betont er, „dass Punk eine ästhetische Haltung ist, die sich in den unterschiedlichsten musikalischen Formenwelten manifestieren kann“.
Bei den anstrengenden Hörbeispielen zu seinem „Schnulzenroman“ muss Daniel Borgeldt selber schmunzeln. |
Gerald Fiebig signiert „Damaged Goods”, darin auch seine Beiträge. |
Sommerabendliche Saxofonklänge von Schmali. |
Daniel Borgeldt aus Mainz hat mit "Schnulzenroman – Die Autobiografie des Heinrich Fraunhofer aka Danny Silver" einen Pop-Roman über Schlager, Zwölftonmusik und Punk geschrieben Der Titelheld des Romans, ein abgehalfterter Schlagerstar, ist 2017 in einer psychosomatischen Klinik gelandet und soll aus therapeutischen Gründen seine Lebenserinnerungen aufschreiben. Eigentlich wollte er ein ernsthafter Musiker der avantgardistischen Seriellen Musik werden, aus Protest gegen den Nazi-Kitsch seines Vaters, der in der NS-Zeit ein populärer Schauspieler war. Doch dann wechselt er, animiert von einem Schlagerproduzenten, zu der „Musik, die die Deutschen verdienen“ – und macht Schlager, um „die Deutschen für den Nationalsozialismus zu bestrafen“. Der Autor, selbst Jahrgang 1982 und damit eine Generation später als sein Romanheld, hat in dem Buch auch seine eigene Sozialisation verarbeitet: Die Großeltern hörten in den 60er/70er Jahren seichte Schlager, die der kollektiven Verdrängung des Nationalsozialismus dienten.
Die drei Künstler Roland van Oystern, Ferdinand Führer und Lisbert (v.li.). |
Der Roman gibt so einiges an Musiktheorie wieder (so wird insbesondere das Trautonium, der Vorläufer des Synthesizers, samt seinem Erfinder geschildert), ist aber laut Borgeldt „musikwissenschaftlich wasserdicht“, weil von einem Profi gecheckt. Er hatte drei Musikbeispiele mitgebracht: einen Schlager („allein die Stimme ist schon MeToo – aber da müssen wir jetzt alle durch“), ein Stück serielle Musik, „Structure“ von Pierre Boulez („auch da müssen wir jetzt durch“), das er dann aber abbrach; und zum Schluss „Here´s to you“ von Joan Baez – da ließ er die Zuhörer allerdings mit der Frage in der Luft hängen: „Ist das jetzt Kitsch oder nicht?“
Für Daniel Borgeldts Lesung, die den Kontinuitäten und Brüchen zwischen NS-Regime und Bundesrepublik nachgeht, ist in Augsburg kaum ein besserer Ort denkbar als das Kulturhaus Abraxas: Das Gebäude wurde als NS-Offiziersheim errichtet und dann von 1945 bis 1994 von der US-Armee als „Bavarian Crossroads Club“ genutzt. So war es für viele Augsburger:innen Teil ihrer musikalisch-kulturellen Re-Education, zunächst durch erste Kontakte zur Jazzmusik, später aber auch als Auftrittsort lokaler (Rock-) Bands.
Text und Fotos: Sabine Sirach
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