La Traviata: Glanzvolle Leistung



Kann ein Stück aufgeführt werden, wenn die beiden Hauptdarsteller erkrankt sind und kann die Aufführung dann gelingen? Am Augsburger Staatstheater wurde diese bestens bewältigte Ausnahme-Situation mit großem Applaus gewürdigt, der vor allem den faszinierenden Protagonisten, der großartigen Aufführung und dem wunderbaren Orchester galt. Bei der Aufführung von La Traviata am 16. Oktober 2022 fehlten sowohl die für diesen Abend vorgesehenen Darsteller von Alfredo als auch Violetta, die vom Weg Abgekommene, was die wörtliche Übersetzung von La Traviata bedeutet. Gleich drei Personen ersetzten die Hauptdarsteller*innen. Und sie vollbrachten das mit Bravour. 

 
Der Tod gehört zum Leben und kann gelegentlich sogar mit Leichtigkeit den Raum füllen, man riecht ihn förmlich, er ist unausweichlich und wirkt ohne Zweifel auch bedrohlich. Gesellschaftliche Zwänge treten in den Hintergrund, die Gefühle bestimmen den Abend, das Stück, übertragen sich aufs Publikum. In das Schwere hinein drängt sich Leichtigkeit. Ausgestrahlt vom einfachen, offenen Bühnenbild, dem Gesang, der eine unüberhörbare Heiterkeit verströmt, dem starken Orchester und was die Krönung ist: Die Liebe siegt und nimmt dem Tod fast jede reale Chance. Was davon ist sogar wirkliches Leben?


Noch eine weitere Frage drängt sich auf? Wie geht Theaterlogistik? Auch und gerade Organisation im Hintergrund, was dem Publikum meist verborgen bleibt, ja verborgen bleiben muss, damit es dem Stück im Vordergrund nichts nimmt.


Es muss eine unvorstellbare Organisation und Herausforderung im Hintergrund sein, stelle ich mir vor, als eine Assistentin vors Publikum tritt und Überraschendes verkündet: einige Rollen müssen wegen Erkrankung umbesetzt werden, darunter Alfredo und Violetta, die Hauptrollen. Trotzdem kein Ausfall des Abends Kann das gut gehen? Es ging überraschend gut, sogar ausgezeichnet.


Violetta Valéry wurde von Helena Sturm gespielt, während Sophia Brommer mitten aus dem Orchester heraus deren Gesang übernahm. Damit wurde die Einheit vom Musikleiter und Dirigenten mit der Rolle der Violetta noch verstärkt und untermalt. Die Teilung von Gesang und Spiel von Violetta entpuppte sich wegen des Singens aus dem Orchesters heraus als etwas Besonderes. Das starke Orchester verschmolz förmlich mit einer wunderbaren Helena Sturm. Alfredo an diesem Abend war Sung min Song. Er lieferte eine glanzvolle Leistung ab.

Doch ohne den fulminanten Opernchor des Staatstheater Augsburg und dem Extra-Chor des Staatstheaters Augsburg wäre die gesamte Aufführung nicht derartig kompakt, eindringlich und faszinierend geworden. Die beeindruckende Macht der Stimmen der Chor-Mitglieder war mehr als nur ein tragender Soundteppich für die Solo-Stars, es kann hier ruhig das Bild vom Meer der mitreißenend Soundwellen verwendet werden. 
  
 
Schon die Inszenierung der Dänin Eva-Maria Melbye ist eine Wucht, befreiend und leicht, das einfache Bühnenbild als Wegweiser durchs Stück, dazu noch Gesang, Darstellung und der Orchesterausdruck am Abend, einfach herrlich, gekonnt, professionell und unverwechselbar.

 


1853 wurde das Stück in Venedig zum ersten Mal ausgeführt. Die ungeliebte Liebe von Alfredo und Violetta steht im Mittelpunkt, die Gesellschaftsproblematik eher in untergeordneter Ebene. Die Figur der Violetta, nach wirklichem Vorbild gestaltet, an Tuberkulose unheilbar erkrankt, will richtige Liebe leben, spät trotzdem hoffnungsvoll. Ihr bisheriges Leben als Kurtisane, immer im Rausch der Partys von damals, soll am Ende ein Ende haben. Mit Alfredo Germont, der schon über ein Jahr in sie verliebt ist, zieht sie aufs Land. Seinem Vater, hervorragend gesungen von Alejandro Marco-Buhrmester, missfällt diese Beziehung, sie muss aufhören. Violetta, im Wissen um ihre Krankheit, willigt ein und verlässt Alfredo nur mit einem Brief. Alfredo, eifersüchtig, sucht nach ihr und stellt Violetta bei einem Fest bloß. Alfredo wirft ihr vor, ihn mit Geld gelockt und benutzt zu haben. Er wirft ihr das Geld um die Ohren. Erst spät, zu spät, treffen sich Alfredo und Violetta wieder. Nicht einmal die Liebe zu ihm kann sie heilen. Sie stirbt.



Eine schwere Handlung, die in der Inszenierung nicht nur durch die Betonung der Liebesgeschichte und der Gefühle leicht wirkt, sondern auch durch die sehr gelungene Gestaltung des Bühnenbildes. Das Wesentliche findet Platz. Fahrbare Wände mit großen Gucklochfenstern werden gezielt eingesetzt und verändert, um dem Raum Weite und Leichtigkeit und Struktur zugeben. Die wehenden, dünnen Baumwollgardinen, der sanft fallende Schnee, die Schaukel und die Lichteffekt, das Nutzen des gesamten Raumes, all dies im Zusammenspiel mit Verdis großartiger Musik nimmt der Krankheit, der Vergänglichkeit, dem drohenden unausweichlichen Tod, die Schwere.

Sängerinnen, Sänger, Chor und das Orchester spielen da genauso mit und bereiteten dem Publikum einen unvergesslichen Abend, der mit großem Applaus zu Recht belohnt wird. Ein überraschender, wunderbarer Theaterabend bleibt in lebendiger Erinnerung, mit Vorfreude auf weitere Inszenierungen von Eva-Maria Melbye.



Musikalische Leitung Domonkos Héja
Inszenierung Eva-Maria Melbye
Bühne Marie í Dali
Kostüme Aleksandra Kica
Choreografie Daniel Záboj
Licht Marco Vitale
Dramaturgie Vera Gertz



Violetta Valéry 
Alfredo Germont Jacques le Roux / Roman Poboinyi
Giorgio Germont Alejandro Marco-Buhrmester
Annina Ekaterina Aleksandrova
Flora Bervoix Luise von Garnier
Barone Douphol Tobias Pfülb
Gastone de Letorières Roman Poboinyi / Claudio Zazzaro
Dottore Grenvil, Violettas Doktor Erik Völker
Marchese d´Obigny Irakli Gorgoshidze
Violettas Diener Oliver Scherer
Ein Kurier László Papp

Tänzer:innen Helena Sturm, Emmy Thomsen, Nicole Asmus, Veronika Drescher, Christiane Kuck, Daniel Lakotta, Jeannette Nickel, Carina John
Augsburger Philharmoniker
Opernchor des Staatstheater Augsburg, Extra-Chor des Staatstheaters Augsburg

Chorleitung Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek 
Abendspielleitung Tan Yi Ling Heather
Inspizienz Sibylle Schmalbrock
Soufflage Delia Maria Tedeschi


Weitere Aufführungstermine sind hier zu sehen.


Text: LM
Fotos: Jan-Pieter Fuhr

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