Quälgeist gnadenlos aus dem Weg in die Zukunft geräumt! Staatstheater Augsburg spielt Horvath

Im Nachtclub "Moulin Blue".



"Geschichten aus dem Wiener Wald" von Ödön von Horvath
Eine Aufführung des Staatstheaters Augsburg

Vom grau in Grau des kalt und nebligen Dezember-Tages hinein ins Grau der "Geschichten aus dem Wiener Wald" von Ödön von Horvath. Ein fast nahtloser Übergang hinein das Stück, wo sich dieses Grau überall festsetzt. In den Farben der Kostüme, den fahlen Gesichtsausdrücken der Protagonisten bis zum blanken, nur angedeuteten Bühnenbild. Von links nach rechts die Läden: Fleisch, Magic, Tabak.

Heute betreten viele junge Leute, Schüler und Studenten den Theaterraum und werden mit Gitarrenmusik, gespielt von Jan Schöwer, der auf Film- und Theatermusik spezialisiert ist, fast melancholisch begrüßt, noch bevor das Stück beginnt. Eine Zither wird nicht gebraucht, nicht nur weil das Finale nicht mit einer Zither-Attacke auf eine gemeine Großmutter ausfällt, sondern weil die Gitarre das Musikinstrument unserer Zeit ist und wir nicht beim Heurigen in Wien sitzen, wo gern gemütliche Zither-Sound erklingt, auch schmeichelnde, einlullende Walzer-Melodien. Inspiriert wurde Horvath übrigens für den Titel seines „Volksstückes“, das gegen die damals üblichen kitschigen Volksstücke aus und über Wien für eine neue und ehrlichere Art von Volksstück antrat, durch den Walzer „Geschichten aus dem Wiener Wald“, einst komponiert vom Sohn des Johann Strauß', der den Radetzky-Marsch komponiert hat.

Viel ist in dieser Inszenierung von Sebastian Schug nur angedeutet. Wer das Stück - mit seinem Inhalt von der Suche nach Liebe und Glück - durch Lektüre, Film oder Theater schon kennt, der kommt natürlich besser mit. Das grüne Programmheft mit den Sprechblasen („Man ist und bliebt allein“ / „Wenn ich mich mit der Zukunft beschäftige, wird’s mir manchmal ganz pessimistisch“ / “Ich bin von lauter dummen Menschen umgeben“ / „Es hat sich hier ausgezaubert“) leistet gut Erklärungsdienste.

Kalt und roh wirkt das Bühnenbild, fast schon so, dass man am liebsten schnell an diesen öden Häuserzeilen im 8. Bezirk Wiens, oder sonst irgendwo im öden Vorort einer Stadt, vorbeihuschen mag, um das Elend nicht sehen zu müssen.

Ebenso brutal wirkt die Lebenswirklichkeit der Menschen die dort leben.

Da ist Marianne, deren Vater, von allen Zauberkönig genannt, eine Puppenklinik betreibt. Verzaubert ist sie von Alfred, dem Gigolo, der am Anfang mit Mathilde zusammen ist, die ihm Geld für seine Spielsucht zusteckt. Natalie Hünig präsentiert uns in ihrer Rolle als Trafik-Inhaberin Mathilde, in Wien ein Laden für Tabak, Zeitungen und Schreibwaren, eine aufgemotzte reifere Dame, die junge Männer aushält, und ältere Männer um die Finger wickeln will und auch kann. Sie hat anfangs eine Liaison mit Alfred, der dubiosen Geschäften nachgeht.

Sebastian Müller-Stahl ist spontan für den erkrankten Alexander Küsters eingesprungen, der den zockenden Alfred spielen sollte. Müller-Stahl schlüpft optimal in die Rolle des Alfreds. In einem kürzlich Interview bei „a3kultur“ sagt er: „Man muss sich von der Figur, für die man verantwortlich ist, führen lassen.“ Er lässt sich von Alfred bestens führen.

Kleinbürgerliche Rituale.
 

Genauso auch Jenny Langner, die sich von der Figur der Marianne optimal führen lässt. Sie verliebt sich in Alfred, verspricht sich von ihm ein spannendes Leben außerhalb der kleinbürgerlichen Welt, und lässt für ihn alles liegen und stehen. Sie brennt mit ihm bei ihrer Verlobung mit Oskar am Donau-Ufer durch. Sie sieht das als Ausweg aus einem geplanten langweiligen Leben. Irgendwie steht sie immer neben sich. Dass sie ein Kind von Alfred erwartet und bekommt, das von Alfreds Oma tödlich vernachlässigt wird, ist bei Schug nur angedeutet, ein dicker Bauch und wieder weg.

Das Stück ist durch Schugs klare Inszenierung wie eine Operation am offenen Herzen. Den Zuschauerinnen und Zuschauern wird ein aufgeführtes Leben zugemutet, wie man es sich nicht wünscht und nicht leben mag.

Die Reduzierung des Bühnenbildes, passend gestaltet von Jan Freese, die Reduzierung der Handlung, die Reduzierung der Dialoge lässt eine Übertragung auf jede Zeit und jeden Vorort zu.

Jan Stöwer an der Gitarre.
 

Uraufgeführt wurde das Stück 1931 in Berlin. Raum und Zeit sind bei Schugs Augsburger Inszenierung austauschbar, das und ihre Darsteller ebenfalls, nur so ist es vielleicht verständlich, dass aus der Trafikantin Valerie eine Mathilde wurde.

Farbe in den grauen Lebensalltag bringt das Zusammentreffen der Figuren im Nachtclub „Moulin Blue“ (wohl angelehnt an „Moulin Rouge“, bei Horvath „Maxim“) wobei Illusion und Ablenkung die Glücksmomente sind. Denen jäh ein Ende gesetzt wird als Marianne als Erotik-Tänzerin entdeckt wird. Ausgerechnet ihr Vater, der selbst kein Unschuldsengel ist, verstößt seine Tochter, die den Job nur für ihren Sohn angenommen hat. „Schämst du dich nicht?“, fragt der Zauberkönig seine Tochter, ein Moralapostel, der Wasser predigt und Wein trinkt, wird glaubhaft verkörpert durch Gerald Fiedler. Marianne nimmt der Skandal-Situation jeden Charme: „Das kann ich mir nicht leisten, dass ich mich schäm.“ Sie muss Geld verdienen, um mit ihrem Sohn zu überleben. Die Show von Patrick Rupar als Conferencier im Nachtclub ist allein schon das Eintrittsgeld wert.

Good Luck“ steht auf dem gläsernen Kasten mit den kaputten Puppen, den Marianne betreut, die durch die Illusion eines besseren Lebens versuchte aus ihrem tristen Dasein auszubrechen. Sie kokettiert mit dem Skelett, das den Gevatter Tod symbolisiert. Für sie scheinbar zum Greifen nah war das Glück und jetzt spitzt sich alles zu. Alfred hat Marianne verlassen und sie kehrt am Boden zerstört zurück.

Hier setzt die Inszenierung von Schug seinen eigenen lauten, unmissverständlichen Schlusspunkt: Marianne erschießt Oskar, es fließt Blut, er stirbt. Wie seine geschlachteten Schweine.

Wird sich das Opfer wehren?


Horvaths Finale: Marianne, nachdem sie erfährt, dass durch Alfreds Oma ihr Kind gestorben ist, geht mit der Zither auf die Mörderin los. Gestoppt wird sie von Oskar. Marianne wird zum willenlosen Opfer des Fleischers. Das ändert Schug. Er holt Marianne aus ihrer Rolle als Schlacht-Opfer der Männer und verwandelt sie in eine feministische Killerin der #MeToo-Ära, die ihren Quälgeist gnadenlos aus dem Weg in ihre Zukunft räumt.

Text: LM



Weitere Aufführungs-Termine


Fr 13.1.2023 19:30
martini-Park

So 15.1.2023 18:00
martini-Park

Mo 16.1.2023 10:00
martini-Park

So 7.5.2023 18:00
martini-Park

Sa 3.6.2023 19:30
martini-Park

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