Herzlich willkommen beim Theater für alle!

Intendant Bücker eröffnet mit Gebärdendolmetscherin die
Vorstellung des neuen Programms.


Theater für alle 
Inklusion und Barrierefreiheit auf der Freilichtbühne und der Theater-Spielzeit 2023/2024

“Einer für alle, alle für einen”, das ist ein Ohrwurm, das Motto beim Musical „3 Musketiere“, das schon viele Male erfolgreich auf der Augsburger Freilichtbühne am Roten Tor über die Bühne ging. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind begeistert von der farbenfrohen, tanz-, musik- und aktionsreichen Inszenierung des Stückes mit wunderhübschen Kostümen, das von Macht, Intrigen, Freundschaft und Liebe erzählt. Eine Gemeinschaftsleistung aller Mitwirkenden und der Musik, die weit über die Mauern und Holzzäune der Freilichtbühne zu hören sind.

Das Staatstheater Augsburg hat sich etwas ganz Besonderes vorgenommen. An einem Abend waren nicht nur blinde und sehbehinderte Menschen eingeladen, sondern auch gehörlose Menschen und solche mit Hörbehinderung. Es sollen alle Menschen im Musical als Publikum dabei sein, die das wollen. Barrieren, Grenzen sollen abgebaut werden. So bekommt das Motto des Musicals eine neue Bedeutung.
 
Sophie Walz und David Ortmann vom Staatstheater Augsburg. In der Mitte Gebärdendolmetscher Hannes Nagler.


Ein guter Schritt 

Inklusion am Staatstheater Augsburg ist seit einiger Zeit mehr und mehr miterlebbar. Nicht alle Barrieren können bei jeder Aufführung abgebaut werden. Die Inklusion, die alle Bereiche der Gesellschaft barrierefrei gestaltet, gibt’s (noch) nicht. Man kann sie auch nicht einfach so machen. Bei den Aufführungen der „3 Musketiere“ mit Gebärdendolmetschern und Audiodeskription war es schon ein guter Schritt dahin.

„Alle für einen, einer für alle“. Ein Motto, das sich auf das Thema Inklusion optimal übertragen lässt. Ja, jeder Vergleich hinkt. Doch an diesem besonderen Abend, an dem unsere Gruppe mit blinden Menschen,auch mit Menschen, die hörbehindert oder gehörlos sind, eingeladen war, waren die leitende Dramaturgin für Musiktheater und Ballett, Sophie Walz, und der leitende Hausregisseur David Ortmann für uns da. Sie gaben uns eine besondere Einführung. Ideal unterstützt von der Gebärdendolmetscherin Christiane Schuller und dem Gebärdendolmetscher Johannes Nagler.

Das Augsburger Staatstheater schafft damit Räume des Willkommenseins und der Gastfreundschaft. Wir fühlten uns wohl in einer einladenden Atmosphäre. Die Räume wurden so bereitet, dass unsere Gruppe an diesem Abend optimal teilhaben konnte. Musik geht über Grenzen hinweg. Ist doch herrlich, dass sogar Menschen beim Musical dabei sein können, wenn sie mögen, die keine Musik hören können und trotzdem viel von diesem Abend mitnehmen. Wie es Intendant André Bücker in seinem Begrüßungstext zum neuen Spielplan schreibt: „Wir können auch Trost, Ablenkung, Unterhaltung und Teilhabe bieten.“


Es wird gestaunt 

Los geht's für unsere Gruppe mit einer Führung durch Dramaturgin Waltz und Regisseur Ortmann. Eine Stunde vor Beginn des Musical sitzen wir vor ihnen. Wir hören und sehen zu. Ein riesiger Kasten aus Holz steht auf einem Tisch. Der Kasten wird geöffnet. Das Tastmodell der Freilichtbühne kommt zum Vorschein. Mit den Miniatur-Kulissen für das aktuelle Musical „3 Musketiere.“. Es wird gestaunt, mit den Händen, mit den Augen, können wir uns einen ganz anderen Überblick verschaffen, auch als blinder Mensch. Alles darf angefasst werden, wird erklärt.

Man sieht nicht nur mit den Augen, man kann auch mit den Händen sehen und wirklich gut sehen kann man eh nur mit dem Herzen. Dann, wenn man auch die Barrieren in den Köpfen abbaut. Wie sind die Dimensionen, Größenverhältnisse, auf der Freilichtbühne? Wie ist die Architektur? Wo wird der Markt aufgebaut? Wo ist das Schiff im Sturm? Wo ist die fahrbare Treppe über die Königin und König laufen werden? Da werden viele Stoffe, Felle, aber auch Requisiten wie Obst aus Plastik herumgereicht. Im Theater kann nicht alles echt sein, doch es muss möglichst echt ausschauen und wirken.

Mit großer Lust und Begeisterung und dem Wunsch, dass jeder mitkommt und möglichst viel versteht werden wir über das Stück und die Produktion aufgeklärt. Und vorallen Dingen mit viel Kompetenz, Empathie und Aufmerksamkeit. Eine Einführung in das Stück hilft denen, die nicht sehen oder hören können. Jedes Requisit verbindet Sophie Walz mit einem kurzen Eintauchen in die zugehörige Szene, unterstützt wird sie von Ortmann, der Bilder der Personen zeigt. Felle aus einer komischen Szene werden gereicht, die Jagd mit Königin und König. Mit Gebärden wird übersetzt.

Beeindruckend und kompetent

Die Musketiere sind eine bewaffnete Leibwache des französischen Königs, darum wird viel mit dem Degen gefochten. Um Ehre, Sieg und Leben. Deshalb darf ein Theaterdegen befühlt werden. Wirkt wie ein scharfes, gefährliches Original. Ist aber stumpf. Doch jeder Schlag und Stich damit muss beim gespielten Kampf auf der Bühne sitzen, muss von den Schauspielerinnen und -spielern geübt, einstudiert werden, als wäre es reale Duelle.

Der Inhalt der Führung war beeindruckend und kompetent. Noch mehr bleibt bei unserer Gruppe in Erinnerung, wie Walz und Ortmann uns mitnehmen, fragen nach unseren Bedarfen. Das war vorbildlich und wurde von den Dagewesenen, Betroffenen mehr als gelobt. „Wir suchen immer nach einer Lösung, nach der Aufführung können wir uns hier gern noch mal treffen und sie können kundtun, was wir verbessern können“, ließen uns Walz und Ortmann wissen. „Wenn sie ein Anliegen haben, sagen Sie es uns.“

So einen fruchtbaren Dialog braucht die gesamte Inklusions-Thematik unaufhörlich. Nicht nur das Theater. Das Theater sucht seine Dialogpartner auch bei den Betroffenen und Experten in eigener Sache. Das ist beispielhaft. Zum Schluss der speziellen Führung werden noch die Geräte für die Audiodeskription verteilt. Jetzt sind alle Teilnehmer gut unterstützt, wo es notwendig ist.

Bestens dabei sein


Audiodeskription ist eine Beschreibung, was gerade passiert. Durch Audiodeskription können blinde Menschen Filme und Theaterstücke verstehen. Weil das, was zu sehen ist, genau erklärt wird. Die Vorstellung auf der Freilichtbühne kann beginnen. Es ist nun so vorbereitet, dass heute Abend die Menschen mit Sehbehinderung und die mit Hörbehinderung als Publikum bestens dabei sein können.

„Das ist cool, gefällt mir sehr gut, bin mittendrin. Die Linde riecht betörend“. Auf dem Weg in die Pause ertönen diese Worte auf dem Weg die Stufen hinauf zum Ausgang. Ich dreh mich um. Ein blinder Mann mit seiner Begleitung ist begeistert: „Wirklich toll dieser Theaterabend”, meine ich. Er drauf: "Die Audiodeskription ist gelungen, die Stimme ist sehr angenehm, klar, deutlich, so dass ich einwandfrei mitkomme und gut dem Stück folgen kann. Nicht zu viel, nicht zu wenig Beschreibung, genau an der richtigen Stelle.” Mit der Stimme meint er Karola Schweinbeck. Sie spricht live, wo eine Lücke in den Dialogen auf der Bühne ist. Sie sitzt während der Aufführung im Graben, gut sichtbar für unsere Gruppe in der ersten Reihe. Sie und Böhme haben die Audiodeskription für die Vorstellung zum Musical erstellt. Böhme und Schweinbeck sind seit Jahren ein eingespieltes Team. Böhme arbeitet mit Schweinbeck das heraus, was und wo blinde Menschen eine Beschreibung brauchen, wie Farben, Aktionen, Kämpfe, Szenenwechsel, Schauspielerbewegungen. Da braucht es gutes Handwerkszeug: Eine klare Sprache, einen treffenden Ausdruck. Sieben bis acht Tage Arbeit am Stück, rund 60 Stunden Vorbereitung, braucht das für so ein Musical. „Das Team muss passen und es ist wichtig, dann auch wieder auseinanderzugehen, um neue tiefe Energie zu schaffen“, meint Böhme.
 
Requisiten werden ausgeteilt.


Böhme ist selbst blind und weiss am besten wie und wo eine Beschreibung, eine Stille gesetzt werden muss. In der Vorbereitung werden Videos, Proben, Schauspielerbeschreibungen, Kostüme, Bühnenbild, und was sonst noch wichtig ist, damit eine gute Audiodeskription heraus kommt. Sie bekommt von ihrer Partnerin Schweinbeck einen Hinweis hier und einen Hinweis dort. Muss noch was zur Stimmung auf der Bühne gesagt werden? Schweinbeck bringt dann live Szenenbeschreibungen wie: "Männer und Frauen bevölkern den Platz vor den Kulissen. Der Wirt bringt eine Schale mit Obst.” Es ist genau das Obst, das wir bei der Führung vorhin für uns gesehen und gefühlt haben. So geht es durch den Abend bis das Publikum die Akteure am Ende des Musicals mit langem Applaus belohnt. Auch unsere Gruppe stimmt in den Applaus begeistert ein

Verschiedene Stimmungen

Hervorragend haben es die beiden Gebärdendolmetscher geschafft die Musik und das Orchester, die Stimmen und Stimmungen hinunterzutragen in die Reihe, wo gehörlose Menschen eine sehr gute Sicht auf die Dolmetscher und die Bühne hatten. Wer wollte konnte einen Ballon bekommen, damit die Schwingungen des Basses spürbar wurden. Allein der Anblick von Christiane Schuller, ihre Gestik und Mimik, brachten schon die verschiedenen Stimmungen des Musicals gut rüber. Auch die gehörlosen Menschen konnten sich mittendrin fühlen. Der dramatische Inhalt des Stückes, der ja für Hörende durch die Musik, Lieder, Sprache miterlebbar ist, war für sie zu erahnen. Dies gelang durch die beiden Gebärdendolmetschern wunderbar. Übertragen durch ihre ausdrucksvollen Gebärden, durch ihre variierenden Blicke, durch Ihre beschwingten Bewegungen.

Nach der Aufführung unterhalte ich  mich noch kurz mit Marie, einer blinden Frau, die so ähnlich wie die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer fühlt: „Schon toll, dass das Theater uns so gut teilhaben lässt. Die Musik war wunderbar und schön auch die Einführung. Das finde ich klasse, dass das gesamte Team des Staatstheaters Augsburg sich so stark in das Thema Inklusion hineinversetzen. Nicht nur Vorstellungen auf der Freilichtbühne für Menschen mit Sehbehinderung und Blindheit werden angeboten, sondern auch die gehörlosen und die mit hörbehinderten Menschen im Blick haben. Das finde ich großartig, das ist wirklich ein riesiger Schritt in Richtung Teilhabe auch für unsereins in Freizeit, Kultur, in der Stadt Augsburg.“

Unterstützt durch Gebärdendolmetscher

Dieser gelungene Abend wird sich herumsprechen. Wie Inklusion am Staatstheater Augsburg großgeschrieben wird, wie willkommen hier Menschen mit besonderen Bedarfen sind. Das setzte sich dann auch am Montag drauf im barrierefreien Treppenfoyer des Staatstheaters im Augsburger Martini-Park fort. Bei der ersten barrierefreien Spielplan-Präsentation des Staatstheaters Augsburg für die Saison 2023/2024.

Gastfreundlich, gekonnt und mit viel Begeisterung für das kommende Theater-Jahr führte Intendant Andre Bücker ein. Eine unterhaltsame Informations-Veranstaltung, unterstützt durch eine Gebärdendolmetscherin.

Vorstellung der einzelnen Stücke aus den einzelnen Ressorts durch André Bücker, David Ortmann und Sophie Walz. Aufgelockert durch eine gesangliche Kostprobe von Sally du Randt aus dem Stück Turandot , das nächstes Jahr auf der Freilichtbühne gegeben wird und auch durch Thomas Prax aus dem Stück „Hedwig“.

Als Expertinnen in eigener Sache kam die Audiodeskriptionsexpertin Claudia Böhme und schwärmte: „Das ist hier im Augsburger Staatstheater so leicht, das geht so unkompliziert, so selbstverständlich.“

Sophie Walz erklärt den Theaterdegen. Unterstützt von den Gebärdendolmetschern. Rechts ist Christiane Schuller.



Nicht nur eine Hoffnung

Ebenfalls zu Wort kam die taube Schauspielerin Anne Zander, die per Video eingeblendet wurde und im nächsten Jahr bei der Brecht'schen Theaterstück „Mutter Courage und ihre Kinder“ die stumme Kattrin verkörpert. Sie ist eine wichtige Figur in diesem Stück, weil sie ein Symbol für die Opfer ist, die der Krieg fordert. Sie ist auch ein Symbol für die Hoffnung, denn sie sieht die Zukunft voraus und weiß, dass der Krieg einmal enden wird. Teilgabe ist am Staatstheater Augsburg nicht nur eine Hoffnung, sondern tatsächlich real.

Deutlich bemerkbar sind die Barrierefreiheit und die Inklusion in der Bemühung und Umsetzung beim Staatstheater Augsburg übers ganze Jahr. Ich beobachte, dass es ein ständiger, wachsender Prozess ist in vielen Bereichen. Das jetzt schon vielfältige Programm ist für mich vorbildlich.

Ein Ort für alle Menschen soll es werden. Auch Menschen mit kognitiver Einschränkung hat das Theater im Blick, Inklusion als Thema in unserer Gesellschaft. Auch im Plan A sind die Themen präsent. Es werden einige Stücke in Leichter Sprache präsentiert. Im Staatstheater Augsburg sind alle Menschen herzlich willkommen.





Tasten, fühlen, spüren.

Beschreibungen in Leichter Sprache

Alle Menschen sollen verstehen können:
Darum geht es in den Theaterstücken.
Deswegen gibt es jetzt Beschreibungen in Leichter Sprache.

Leichte Sprache ist eine sehr leicht verständliche Sprache.
Leichte Sprache ist vor allem für Menschen mit Lern-Schwierigkeiten.
Aber Leichte Sprache ist auch für andere Menschen gut.
Zum Beispiel für Menschen, die gerade Deutsch lernen.

Leichte Sprache entsteht in inklusiver Zusammenarbeit.
Das bedeutet: Menschen ohne Lern-Schwierigkeiten übersetzen Texte in Leichte Sprache.
Und Menschen mit Lern-Schwierigkeiten überprüfen dann:
Können wir die Texte gut verstehen?

Einige Texte auf der Internet-Seite vom Staatstheater Augsburg sind
in Leichter Sprache.

Ortmann mit den beiden Gebärdendolmetschern vor der Musical-Bühne.


Wunschzettel zum Downloaden

Die Vielfalt am Staatstheater Augsburg ist jetzt schon unübersehbar. Der Wunsch, dass alle mit dabei sein können, wird Step by Step verwirklicht. Im Gespräch bleiben, und durch die richtigen Fragen weiter wachsen in Sachen Inklusion, das ist es. Es war deutlich zu merken, dass alle an einem Strang ziehen, dass es eine Lust und positive Leidenschaft bei den Akteuren gibt, jede noch bestehende Barriere abzubauen. Nicht nur eine Liste mit Fragen wurde an diesem Abend erstellt, sondern auch eine Wunschliste mit Stücken, die barrierefrei aufgeführt werden sollten zum Ausfüllen gibt’s jetzt. Auch zum Downloaden steht sie bereit, damit alle mitmachen können.

Mit viel Respekt, Sympathie und gelungener Willkommens-Kultur ging der Abend für uns zu Ende. Er war sehr humorvoll und aufs Wesentliche konzentriert. Das schöne Motto des neuen Spieljahres “Zwischen-Menschen” passt auch sehr gut für den Abend . Alles nochmal auf den Punkt gebracht. Inklusion ist stets ein Prozess. Ein Dialog. Kreative Kritik, wohlwollende Ansichten und Weiterentwicklung. Im Staatstheater Augsburg gelingt es hervorragend Barrieren zu verringern. Im Dialog. Und auch in den Köpfen. Bravo!

So gehen alle zufrieden heim und freuen sich jetzt schon auf den neuen Spielplan.

P.S.: An diesem Abend kristallisierte sich auch heraus, dass es eine inklusive Vorstellung für das Familienstück “Max und Moritz” geben sollte.

Walz und Ortmann.

Thomas Prazak.

Sally du Randt.




Text und Fotos:  Lina Mann


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