Highways, Nietenhosen und Barras-Würfel

Neues Amerika Haus, Sammlung zur Geschichte der Amis in Augsburg.


Der Wißner Verlag publizierte schon vor geraumer Zeit (2013) in seiner Reihe Documenta Augustana eine Aufsatzsammlung „Augsburg und Amerika - Aneignungen und globale Verflechtungen in einer Stadt -“. Die 13 fast ausschließlich von akademischen Historikern geschriebenen Artikel befassen sich mit den seit über 500 Jahre wechselseitigen Beziehungen zwischen Augsburg und (Gesamt)Amerika.


Seltsamer Titel

Nach dem Lesen der einzelnen Beiträge der Verfasser war dem einfachen Lohnschreiber der Neuen Augsburger Rundschau nicht eingängig, warum der Herausgeber von „Aneignung“ der US-amerikanischen Lebensart im Titel spricht. Der mittlerweile stigmatisierende Begriff, zumindest wenn er im kulturellen Kontext verwendet wird, bedeutet die Inanspruchnahme von Praktiken oder Traditionen aus einem Kulturkreis der nicht der eigene ist. Zudem muss die Aneignung ohne Verständnis oder Würdigung der betroffenen Kultur sein. 

Da kann man beim Genuss von Burgern, Netflixserien oder T.C. Boyle-Romanen seine Zweifel haben ob der Untertitel wirklich erhellend ist. Eine andere, etwa juristische Definition von Aneignung, kann ja nicht gemeint sein. Denn im Zivilrecht ist es die Inbesitznahme einer herrenlosen (Achtung: der Begriff ist genderfeindlich!) Sache. Das ist die Beziehungskiste mit den Amerikanern auch nicht.


Texte unterschiedlich interessant—schwacher Anfang aber starker Endspurt

Egal, die Deutungshoheit bleibt beim Leser. Mehr als die Hälfte der 300 Seiten kann man, wenn überhaupt, kursorisch lesen. Die Handelsverhältnisse zwischen den Augsburger Patriziern und Süd/Mittelamerika waren schon zu Gymnasialzeiten ätzend langweiliger Unterrichtsstoff. Selbst die Mea Culpa Frage ob die Textilfabrikanten der Augsburger Industrialisierung wussten daß die importierte Baumwolle von Sklaven geerntet wurde, ist vor dem Hintergrund der pleitegegangenen Aktionäre obsolet.

Selbst das an sich interessante Thema der Auswanderer kann man übergehen weil wenig lokale Bezüge zu erkennen sind. Dafür spannender beginnt die Betrachtung der deutsch-US amerikanischen Beziehungen mit der Erfindung des Begriffes Amerikanismus und Amerikanisierung in der Zeit der Weimarer Republik. Egbert Klautke, sieht in seinem Text das die typisch als amerikanisch geltenden Werte, Streben nach Reichtum und Wohlstand durch Kapitalismus, Materialismus und technischem Fortschritt, einhergehen mit den „Pflichten der Weltbürgerschaft“ zur Verbreitung bzw. Sicherung der Vorstellung von amerikanischer Gerechtigkeit (Demokratie) und Lebensart in aller Welt. 

Die Kunst in Musik, Literatur und Film jedoch wurde, so Klautke, wie in der Augsburger Postzeitung beschrieben, nur als „Nervenpulver“ definiert für die Unfähigkeit der Amerikaner zum tiefgründigen deutschen Kulturleben. Weil es ein Land ohne Mittelalter ist hat es weder Geschichte noch Tradition., ein Land ohne Metaphysik, der Pragmatismus ist die philosophische Wahrheit der Amerikaner. Ob dies für eine negative Aneignung als Ablehnung gegenüber der deutschen von den politisch Extremen bedrohte Weimarer Republik reicht, sieht Klautke nicht.
 
Die Barras-Würfel, Wohngebäude in Augsburgs Little Amerika.


1945: Vom gutartigen Feind und den „verführten“ Deutschen

Mit der kulturellen Überheblichkeit war es in Augsburg zwar nur öffentlich, spätestens ab Mai 1945 vorbei. Edith Raim befasst sich im Sammelband mit der Innenansicht Augsburgs während er ersten Jahre der amerikanischen Besatzung. Sie behandelt zuvorderst Themen wie bauliche Zerstörung, Hunger und drohende Mangelkrankheiten. Ihr Schwerpunkt liegt aber im clash der Kulturen. Bedingt durch die antiamerikanische Indoktrination der Nazis und der Verzerrungen der US-Propaganda, trotz der Schockerlebnisse der GIs beim Befreien der Konzentrationslager, traf man beiderseits auf einen anderen Feind. Verängstigte und hungernde Frauen mit dünnen Kindern an der Hand anstatt gewalttätiger Killer-Krauts trafen auf Kaugummi und Hershey-Schokolade verteilende bubenhafte US Soldaten. 

Frau Raim glorifiziert nicht, weist auch auf die Plünderungen und Vergewaltigungen der letzten Kriegstage hin, die im Gegensatz zur sowjetisch besetzten Zone, unmittelbar unterbunden wurden. Aber sie schreibt glaubhaft über die „verführten Deutschen“ und den milden Paternalismus der Amerikaner. Zwar verfolgten die Entnazifizerungsgerichte die NS- Funktionäre, Täter und Mitläufer anfangs mit Furor doch legte sich dieser Eifer spätestens als im Koreakrieg 1950 klar wurde, daß die Amis die Deutschen als Verbündete benötigten.

Sheridan-Kaserne, Pfersee-Gate.



Fraternisierung und Fertilisierung

Ihrem Anspruch auf Demokratisierung, Neuerziehung und Entnazifizierung auch in Augsburg umsetzen zu können, waren für die Besatzer Sprachkenntnisse da die der Schlüssel zur Verständigung zwingend. Dazu erhielten insbesondere die Verwaltungsoffiziere Deutschunterricht, denn der Aufbau einer funktionierenden Verwaltung war erstrangiges Ziel. 

Frau Raim beschreibt in eindrucksvoller weise wie sich die Amerikaner bemühten um im deutschen Sprachgebrauch zurecht zu kommen. Sie zitiert teilweise skurrile Übersetzungen „die US-Soldaten benötigen zum Schlafen Mätressen (Matratzen)“ oder findet in den Handbüchern der Verwaltungsoffiziere Lautschrifthinweise zum Auskunftsverlangen an deutsche Beamte: „TSAIHnen zee meer ai-nuh LANT-KAR-tuh“. Heisst vermutlich daß der Amerikaner eine Landkarte benötigt. Auf deutscher Seite war die sprachliche Beschränktheit noch größer, stellt Frau Raim fest. Der kommissarische Oberbürgermeister Augsburgs beschäftigte regelmäßig in der Mission erfahrene Schwestern vom Kloster der Englischen Fräulein (!).

Sprachverständigung bedeutet Nähe. Diese Nähe war den Soldaten durch das Fraternisierungsverbot (im weitesten Sinne jedwede Annäherung) mit dem ehemaligen Feind nicht erlaubt. Selbst der Handschlag beim Abschluß von Anweisungen, die Befehle wurden von den Amis meist als Wünsche an die Deutschen vorgetragen, waren untersagt. Besonders heikel empfanden beide Seiten die Annäherung der Geschlechter. Den Deutschen war es zwar nie verboten wie auch immer geartete Kontakte zu den Besatzern zu pflegen. 

Deutsche Männer verstand man als Ami-Knechte. Frauen gerade im Umgang mit Farbigen bezeichnete man als Amiflittchen (oder schlimmer). Umgekehrt warnten die US Militärmediziner vor von Geschlechtskrankheiten verseuchten deutschen Frauen. Hat nichts genützt, sagt Frau Haim schon im Oktober 1945 wurde das Fraternisierungsverbot, das die GIs ohnehin nur als Fertilisierungsverbot (Befruchtungsverbot) verstanden, aufgehoben.

Zeitungsanzeigen für Ami-Boizn.



Anziehung und Ablehnung

Zu Beginn der 1950er Jahre stellt Reinhild Kreis in ihrem Beitrag fest, begann der „tiefgreifende Wandlungsprozeß in dem aus Gegnern, Besiegten und Besatzern nicht nur Verbündete sondern Freunde wurden“. Auf vielen Ebenen wie Erziehung und Bildung (Amerika Haus in der Prinzregentenstraße). Beim Sport, beim Boxen, stiegen im Augsburger Polizeisportverein schwarze US Soldaten gegen Deutsche in den Ring. Die Army wurde Arbeitgeber und die Amerikaner betrieben, wenn auch nicht mit unserer bürokratischen Gründlichkeit, Stadtentwicklung für die Stadtteile Pfersee und Kriegshaber. 

Dadurch konnten die dringend benötigten zu Kriegsende beschlagnahmten Wohnungen an die Augsburger zurückgegeben werden. Dennoch lebten die GIs mit ihren Familien in eigenen Welten, dem Little Amerika. „Vornehmer“ kultureller und gesellschaftlicher Austausch entstand erst ab Mitte der 1960er Jahre durch die sogenannten Freundschaftsvereine. 

Das reale Leben mit den Amis vollzog sich in Augsburgs Boiz`n , auf dem Plärrer oder am Bierfest in der Jakobervorstadt. Dort war der einzige Berührungsort für Augsburger die jenseits der Wertach lebten. So blieb diesen die Kultur aus Cola, Cadillac und Spare Rips ebenso fremd wie den Amerikanern die Blasmusik und das Fingerhakeln. Lediglich beim Bierzelt-Raufen waren alle dabei.

Alles amerikanische wurde zum Objekt der Begierde, Jeans, Transistorradios, Whisky und Musik

Als Gegenentwurf zur nach offizieller deutscher Auffassung banalen amerikanischen Lebensart veranstaltete die Augsburger Stadtverwaltung eigene verbindende Kulturevents um, so stellte Frau Kreis fest „ den Amis einen richtigen Begriff von der Höhe der Deutschen (Augsburger) Kultur“ zu geben. Was das genau war kann dem Artikel nicht entnommen werden, vermutlich nicht ein Fischerstechen auf dem Stadtgraben. Lange Zeit herrschte insbesondere in der Augsburger Presse, nach Frau Kreis die Meinung vor, wenn wir -Deutschen- schon militärisch entmannt wurden, den Amis aber weiterhin kulturell überlegen sind und dadurch umgekehrte Erziehung leisten können.


Wolfman Jack und Tex Warner

Leider beinhaltet das Kapitel „Amerikanisierte Popkultur“ wenig Augsburg spezifisches, so daß es getrost überflogen werden kann. Dabei hätte der Autor Peter Bommas mit Zeitzeugenbefragungen ein eindrucksvolles Bild der Pop/Rock- und Country Szene zeichnen können. Die bloße Aufzählung der Kneipen, Gasthäuser und Tanzbars genügt nicht. 

Viel interessanter wäre gewesen was sich etwa im Las Vegas, der Motown Disco Augsburg in der Drentwettstraße abspielte. Sie war eine der wenigen Orte in der die bis in die 1970er Jahre andauernde Diskriminierung der Farbigen nicht stattfand. Auch wäre es wichtig gewesen Tex Warner zu hören, den Augsburger Musiker der in Nashville, Tennessee um seine Country Music Verdienste als bisher einziger Deutscher ausgezeichnet wurde. Er war ständiger Gast der in den Kasernen Clubs wie NCO oder Officiers wo er Jahrzehnte lang auftrat.

Ganze Generationen von Augsburgern lernten über die Musiksendungen des Ami Senders AFN die englische Sprache. So waren die in leicht verständlichem Englisch gehaltenen Krimisendungen (we keep you in suspense) einflussreiche Träger der amerikanischen Kultur (Chance verpasst, Herr Bommas).

 Bgm.-Ackermann-Straße, der US Highway in Augsburg.


Der große Radiergummi

Die besten Kapitel befassen sich mit amerikanischer Architektur und dem was von Little Amerika in Augsburg übrig blieb. Stefan Paulus wählte drei Beispiele, NCR Hochhaus, Parkhaus am Ernst Reuter Platz und den Hotelturm im Wittelsbacher Park für seine Betrachtungen aus. Während bei den erstgenannten entweder wegen Abbruch oder aufgrund umfangreichen Umbaus die amerikanische Architektur der Nachkriegsmoderne nicht mehr zu erkennen ist, ist der „Maiskolben“ unverwechselbares und einziges weithin sichtbares Erkennungsmerkmal einer modernen Stadt. Die Vorbilder des Rundbaus stehen in Chicago. Optisch auch heute noch ein Wahrzeichen. Funktional, und das ist dem Investor Otto Schnitzenbaumer zu verdanken, ist das Hochhaus eine Mischung aus Hotel und Boarding House. 

Schnitzenbaumer stellte sich ein durch Zusatzleistungen aus dem Hotel wie Essen, Wäsche oder Reinigung versehenes Raumkonzept insbesondere für ältere Menschen nutzbares Betreutes Wohnen vor. Guter Ansatz im Jahr 1972.

Selbstverständlich werden im Sammelband auch die Militär- und Wohnbauten der US Amerikaner abgehandelt. Während die Kasernen im positiven Sinn ausradiert wurden und neuen Stadtteilen gewichen sind blieben die Wohnquartiere weitgehend unverändert erhalten. Aufgrund ihrer kubischen schlichten Bauformen bezeichnete sie die meinungsbildende Öffentlichkeit in den 1950ern als „Barraswürfel“ abwertend für Soldatenwohnungen. Tatsächlich waren sie im Entstehungszeitrum allen deutschen Wohnwaben in Komfort, Ausstattung und Größe überlegen.

Dagegen ist es mit der kulturellen Erinnerung, zumindest was die öffentliche Wahrnehmung an geht, nicht weit her. Dem von Herrn Prof. Dr. Gassert vorgeschlagenen Konzept zur Aufarbeitung der jüngeren deutschen (US) Geschichte in einem sog. Lernort im Gebäude 116 der Sheridan Kaserne zu vereinen, ist bisher nur die Zwangsarbeiter Tragödie 1944/45 Gegenstand der kommunalen Aufmerksamkeit.

Wären da nicht die beiden Vereine "Amerika in Augsburg" und "American Car Friends" dann wäre die 50 jährige Epoche der Amis in Augsburg kulturell wirklich ausradiert. Die Vereine haben mit privaten Geldern, allerdings in von der Stadt überlassenen Räumen eine sehenswerte Sammlung des US-amerikanischen Lebens aufgebaut.

Zurück zum Buch, Frau Bavendamm begründet im letzten Text warum solche Museen häufig aus Privatinitiative entstehen. Für sie sind derartige Plätze „Orte des Erfahrungswissens und nicht des wissenschaftlichen Wissens“. Das erklärt auch das akademische Desinteresse der Historiker am Neuen Amerika Haus, zu viel Amateure, aber ohne diese Amateure gäbe es nichts was außerhalb der steinernen Zeitzeugen an die amerikanische Präsenz in Augsburg erinnert.

Dieses Buch ist zwingend lesenswert. Es vermittelt einen Teil der Stadt-, Kultur- und Baugeschichte die bisher nirgends in dieser spannenden und gelegentlich auch witzigen Form erzählt wurde.

 Einmarsch der US Armee, 1945, Domkurve.






Text: Edgar Mathe


Bilder: Stadtarchiv, Sammlung Neues Amerika Haus, Autor 

Philipp Gassert, Günter Kronenbitter u.a.

Augsburg und Amerika-Aneignungen und globale Verflechtungen in einer Stadt-

Wißner Verlag , Augsburg 2013













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