tim: Nähmaschine sicherte das Überleben!


Diese Nähmaschine reiste mit den Flüchtlingen auf dem Schiff
bis nach Shanghai.

Nähen, um zu überleben

Jüdische Flüchtlinge in Shanghai 1938 bis 1949

Kevin Ostoyich (Professor für Geschichte an der Valparaiso University und derzeit Associate Fellow am Käte Hamburger Kolleg der Ludwig-Maximilians-Universtiät München)
präsentiert den Augsburger Journalisten im tim die Nähmaschine
und ihre Geschichte.



Das tim beleuchtet in dieser Ausstellung im Folyer mit internationaler Beteiligung ein bewegendes Stück deutscher Geschichte. Dabei geht es um jüdische Frauen, Männer und Kinder, die ab 1938 aus Deutschland und Österreich vor den Verfolgungen durch die Nationalsozialisten nach Shanghai flohen und dort ihren Lebensunterhalt nicht zuletzt durch textile Arbeiten sicherten.

Projekleiter Ernst Hönze erklärt die Dokumene.

Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem renommierten Käte Hamburger Research Centre »global dis:connect« an der Ludwig-Maximilians Universität in München. Sie zeigt Originalobjekte, hergestellt von jüdischen Flüchtlingen während ihrer Zeit in Shanghai, darunter auch kunsthandwerkliche Arbeiten, die von einem geflüchteten Mädchen geschaffen wurden.

Ausstellung im Foyer.

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht eine historische Nähmaschine, die das Überleben einer der Familien sicherte. Ursprünglich ein Geschenk der Großmutter an ihre Enkelin, hat die Nähmaschine eine lange Reise vom hessischen Frickhofen nach Shanghai, später nach San Francisco und Cleveland und nun nach Augsburg gemacht.

Eintritt frei.

Diese Ausstellung dauert noch bis zum 17.11.2024

Link zum tim

Dokumentarfilm kann betrachtet werden.



Nähen, um zu überleben. Die Augsburger Ausstellung folgt der Geschichte der Shanghaier Juden am Beispiel der Familien Abraham, Altmann, Brosan, Kiewe, Kisch, Nowomiast (Newton) und Sternberg.

Die nationalsozialistischen Novemberpogrome („Reichskristallnacht“) und der „Anschluss“ Österreichs zwan gen 1938 zahlreiche jüdische Familien zur Flucht aus Deutschland, Österreich und Osteuropa. Als einer der wenigen Aufnahmeorte für jüdische Flüchtlinge blieb damals Shanghai, wo in kurzer Zeit fast 20.000 Menschen Zuflucht fanden.

Die Lebensbedingungen vor Ort erwiesen sich als prekär – umso mehr, als die japanischen Besatzer 1943 ver fügten, dass alle Staatenlosen, die ab dem 1. Januar 1937 nach Shanghai gekommen waren, in einem abge grenzten Viertel im heruntergekommenen Stadtteil Hongkew leben mussten. Es fehlte am Nötigsten wie fließendem Wasser und Heizung. Hunger und Krankheiten prägten den Alltag. Das Überleben der jüdischen Familien sicherten nicht selten Frauen, die z. B. mit ihren Nähmaschinen Kleidung fertigten, aber auch Männer, die Lederwaren herstellten. Erst das Ende des Zweiten Weltkriegs sorgte für die Befreiung der Shanghaier Juden, die in den Folgejahren in die USA, nach Australien, Israel oder in andere Länder auswandern konnten. Die Augsburger Ausstellung folgt der Geschichte der Shanghaier Juden am Beispiel der Familien Abraham, Altmann, Brosan, Kiewe, Kisch, Nowomiast (Newton) und Sternberg. Sie stehen für eine bewegte Historie, die gleichermaßen von globalen Verflechtungen und Entflechtungen geprägt war.

Nationalsozialistische Verfolgung der jüdischen Bevölkerung

Mit Übernahme der Regierung in Deutschland am 30. Januar 1933 begannen die Nationalsozialisten, die jüdi sche Bevölkerung systematisch zu unterdrücken, entrechten, berauben und zu ermorden. Um Repressionen zu entgehen, sahen sich zahlreiche Jüdinnen und Juden deshalb gezwungen, ins Ausland zu emigrieren bzw. zu fliehen. Von den gut 500.000 Juden, die 1933 noch im Deutschen Reich gelebt hatten, gelang bis 1938 etwa 180.000 die Auswanderung. Der „Anschluss“ Österreichs, der im März 1938 das Nachbarland in das Deutsche Reich eingliederte, und das schockierende Novemberpogrom 1938 („Kristallnacht“) erhöhten mit den immer weiter ausgreifenden Enteignungen („Arisierungen“) massiv den Druck auf die jüdische Bevölke rung, sich ins Ausland abzusetzen. So gelang bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges noch annähernd 80.000 weiteren Juden die Flucht. Für etwa 20.000 von ihnen blieb das fernöstliche Shanghai der einzige Ort welt weit, der überhaupt noch jüdische Flüchtlinge aufnahm.

Die Flucht nach Shanghai

Mit einer Reise nach Shanghai zu gelangen, war für die flüchtenden Jüdinnen und Juden mit zahlreichen Hindernissen verbunden. Während für die Einreise nach Shanghai kein Visum erforderlich war, waren für die Auswanderung aus Deutschland eine Ausreisegenehmigung und ein gültiges Ticket erforderlich. Dazu kam die finanzi lle Herausforderung, die teure Passage nach Fernost zu bezahlen. Davon hing auch ab, wieviel der eigenen Habseligkeiten sich überhaupt nach Shanghai mitnehmen ließen.

Die in der Ausstellung vorgestellten jüdischen Familien gelangten auf verschiedenen Wegen nach Fernost. Die Abrahams und die Kischs starteten von Genua aus mit dem Schiff Conte Biancamano, Lesser Kiewe von Bremen aus mit der M.S. Marburg, Etl Kiewe und ihre vier Kinder von Triest aus mit der Conte Verde. Der Familie Nowomiast (Newton) blieb indes nur die aufwändige Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn, um am Ende per Schiff über Japan nach Shanghai zu gelangen.

Die Lebensbedingungen in Shanghai

In Shanghai angekommen, stießen die jüdischen Familien auf oft desaströse Lebensbedingungen. Das ungewohnte subtropische Klima belastete zusätzlich. Trotz der chinesischen Zugehörigkeit war Shanghai in jener Zeit multi-national geprägt mit Niederlassungen („Konzessionen“) der Briten, Franzosen und US-Amerikaner. Die Lage für die jüdischen Flüchtlinge verschlechterte sich nochmals merklich, nachdem die Japaner als Alliierte Deutschlands ihr Verwaltungsregime über die Stadt errichteten. Sie zwangen alle nach dem 1. Januar 1937 in die Stadt gekommenen staatenlosen Personen, in wenige Straßen in dem heruntergekommenen Stadtteil Hongkew umzusiedeln, wo die jüdischen Flüchtlinge auf einer Fläche von nur etwa zweieinhalb Quadratkilometern zu Rande kommen mussten. In den Unterkünften mangelte es häufig an fließendem Wasser, an Toiletten, an Kochgelegenheiten und Lebensmitteln. Hunger und Krankheiten nahmen überhand.

Nähen, um zu überleben

In Shanghai galt es für die jüdischen Flüchtlinge zuallererst, die eigene Existenz zu sichern, neue Infrastruktu ren aufzubauen, Schulen und kulturelles Leben zu organisieren – trotz widriger Umstände. Den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, erwies sich als besonders schwierig, da die in der alten Heimat erlernten Berufe im Shanghaier Exil häufig nicht gefragt waren. Deshalb diente etwa eine – wie im Falle der Familie Abraham – aus Deutschland mitgebrachte Nähmaschine dazu, textile Arbeiten zu fertigen, die etwas Geld einbrachten. Anderen gelang es, mit Lederarbeiten ihren Unterhalt zu verdienen. Während die Brosans hochwertige Lederwaren verkauften, arbeitete Fritz Altmann als gefragter orthopädischer Schuhmacher. Jüdische Schulen und Theater ermöglichten neben Synagogen ein kulturelles Leben.

Die Auswanderung in die Freiheit

Die Kapitulation Japans am 2. September 1945 beendete in Fernost offiziell den Zweiten Weltkrieg. Daraus folgte auch das Ende der japanischen Besatzung Shanghais, die einer Befreiung für die jüdischen Flüchtlinge gleichkam. Für diese eröffnete sich nun die Möglichkeit, wieder frei über die eigene Zukunft zu bestimmen – die Emigration in ein Land ihrer Wahl war das Ziel. Bis es dazu kam, blieben noch viele Angelegenheiten zu regeln. Es brauchte zahlreiche Papiere wie gültige Reisepässe und Impfzeugnisse, die Einreiseländer wie die Vereinigten Staaten von Neubürgern verlangten. Erneut galt es, alle Habseligkeiten zu packen, um sich in den USA, Australien, Israel oder anderen Ländern eine neue Existenz aufzubauen. Manche aus Shanghai mitgebrachten Dinge avancierten nun zu Erinnerungsstücken, die in den einzelnen Familien den neuen Generatio nen vererbt wurden.


"The Singer of Shanghai"

Im tim ist die Deutschlandpremiere des Theaterstücks "The Singer of Shanghai". Dazu haben sich die Augsburger Schülerinenn und Schüler des Rudolf-Diesel-Gymnasiums und des Maria-Ward-Gymnasiums unter Leitung von Eva-Maria Noppen-Eckiart und Wolfgang Poeppel mit dem bewegten Leben der jüdischen Flüchtlinge in Schaghai auseinandergesetzt.

Geschrieben wurde dieses Stück von Kevin Ostoyich und Kari-Anne Ines, Kayla Owens, Kayli Perrine und ChristianYoder im Rahmen eines Kurses an der Valparaiso University, INdian USA. Es basiert auf Interviews und der Geschichte von Ida Abraham und ihrer Nähmaschine auf der weiten Reise.

Das während der Covid-Epidemie geschriebene Stück wurde erstmals als online-Hörspielsendung aufgeführt. Ehemalige Shanghai-Flüchtlinge, darunter Harry J. Abraham, spielten in der Besetzung der Hörspielsendung kleine Rollen. Das Stück wurde seitdem von Schülern der Broughton High School in Edinburgh, Schottland und von Schülern der Slippery Rock University in Slippery Rock, Pennsylvania, USA, aufgeführt. Das Skript wurde später von Dr. Anton Hieke von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ins Deut sche übersetzt.

Mit „The Singer of Shanghai“ möchte Ostoyichs nach eigenen Worten jungen Menschen helfen, eine Verbindung zur Menschlichkeit in der Geschichte herzustellen und Schüler zu ermutigen, anderen bedeutsame historische Themen näher zu bringen.


Aufführungstgermine:
Donnerstag, 18 Juli 2024 / 19:00 Uhr - öffentliche Aufführung


Montag, 22. Juli 2024

9:00 Uhr - Aufführung für Schulklassen - geeignet ab 9. Jahrgangsstufe
11:00 Uhr - Aufführung für Schulklassen - geeignet ab 9. Jahrgangsstufe
19:00Uhr - öffentliche Aufführung

Der Eintritt erfolgt auf Spendenbasis

Ticket-Reservierungen unter Tel.: 0821-81001-526 oder veranstaltungen@timbayern.de

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